46.
In fünfzehn Minuten sollte das Privatflugzeug auf dem Oakland Airport landen. April Irons diktierte ihrer Sekretärin letzte Anweisungen. Sie hatte in letzter Zeit eine ganze Reihe von Sekretärinnen verschlissen. Keine war dem Dauerstress gewachsen gewesen.
April sah hinunter auf die pazifische Küste. Die Wellen rollten an einen fast leeren Strand. Dort unten drehte das Team Birth of a Star. Es war dem Streß ebensowenig gewachsen wie die Sekretärinnen.
Michael hatte April auf dem laufenden gehalten. In seinen Anrufen klagte er darüber, daß er die täglichen Abzüge des Films nicht zu sehen bekam, wie übrigens niemand dazu Zugang hatte, außer Sam. Das wunderte April nicht. Auch sie hatte keine Abzüge mehr bekommen.
Michael hatte sich auch über den Zeitplan beschwert. »Der Regisseur braucht eine Woche für eine Strandszene mit zwei Personen. Drei Wochen hinkt er hinter den Terminen her. Die Moral ist auf einem Tiefpunkt. Außerdem schottet Shields sich ständig mit diesem dummen Luder ab. Wenn dieser Film nichts wird, bin ich geliefert.«
Tatsächlich lief alles schief. Michael hatte mit Jahne geschlafen. Jetzt schlief Sam mit ihr und Michael hackte auf Sam herum. Das trieb April zu Verzweiflung. Michael war zumindest ein Schauspieler, auf den Verlaß war. Der Film stand und fiel mit ihm. Doch er mußte sich natürlich auch die Frage stellen, ob das womöglich sein letzte Rolle als Liebhaber war.
Verbittert erinnerte April sich an ihre Vereinbarung mit Sam Shields. Sie hatte ihm den Seitensprung mit Crystal Plenum vergeben, ihm aber klargemacht, bevor sie ihm den Vertrag für Birth gab, daß sie von nun an mit seiner Treue und Beständigkeit rechnete.
Nun schlief dieser Hurenbock mit Jahne Moore, und April verlor das Gesicht, ganz zu schweigen von dem finanziellen Verlust. Denn offensichtlich hatte Sam die Übersicht über sich, die Crew und das Projekt verloren.
Darum flog April jetzt nach Oakland. Sie wollte sich den Verantwortlichen vorknöpfen. Nach der Landung kam April ein junger Mann entgegen und begrüßte sie höflich. Nicht Sam Shields. April faßte es kaum. »Wer, zum Teufel, sind Sie?« verlangte sie barsch zu wissen.
»Joel Grossman, Miss Irons. Sams Regieassistent.«
Die Sekretärin setzte sich vorn neben den Fahrer, Joel Grossman in den Fond neben April. Da schoß sie auch schon ihre erste Frage ab: »Wo liegen die Probleme? Antworten Sie in fünfundzwanzig Worten oder weniger.
»Wir haben keine Probleme«, versicherte er hastig. »Wir hatten nur einen geringen Zeitverlust wegen des Wetters. Abgesehen davon...«
»Jetzt haben Sie noch zwölf Worte frei. Kommen Sie zur Sache.«
»Nun, Miss Irons, Sie wissen ja, daß Sam Künstler und Perfektionist ist...«
»War es Ihre Idee mich heute vom Flughafen abzuholen oder Sams?«
Der junge Mann wand sich verlegen. »Sams, Miss Irons.« Sie schaltete die Sprechanlage zu dem Fahrer ein. »Halten Sie. Sofort.«
Die überlange schwarze Limousine hielt. April verlangte hart: »Steigen Sie aus, Grossman, und richten Sie Sam aus, er soll nie wieder einen kleinen Jungen für Männerarbeit einteilen.«
»Aber Miss Irons, wir sind auf einem Highway! Es sind fünf oder sechs Kilometer bis zur nächsten Ausfahrt.« Seine Unterlippe zitterte.
»Sie sind schließlich Regieassistent. Lassen Sie sich also etwas einfallen. Raus!« Sie machte das nicht gern, aber sie mußte mit dem Aufräumen anfangen. Immerhin investierte sie in den Film vierzig Millionen Dollar.
Nichts funktionierte mehr. Die Kosten beliefen sich auf astronomische Summen. Und wofür? Um den Pazifik aufzunehmen! Jupiterlampen brannten, Kameras surrten. Auch das wertete April als Zeichen dafür, daß Sam der Aufgabe nicht gewachsen war. Solange er die Crew nicht zu einem geordneten Miteinander zusammenschweißen konnte, würde der Film nie gelingen.
Wo war er überhaupt? Spielte er wieder mit Jahne Moore herum? April dachte nicht nur darüber nach, sondern sie dachte auch daran, daß Sam ihr Geld verschwendete. Das steigerte ihren Zorn nur noch.
Sie wartete im Wagen, bis der Aufnahmeleiter endlich aufmerksam wurde und zu ihr eilte. »Holen Sie Sam!« fauchte sie ihm entgegen und ließ das Fenster hochschnurren, bevor der Mann etwas erwidern konnte.
Zehn Minuten später klopfte Sam an die Wagentür. April haßte das, was jetzt auf sie zukam, am meisten, »Steig ein«, verlangte sie ohne Begrüßung. »Ich habe keine Tagesabzüge bekommen, und du hast meine Anrufe nicht beantwortet. Und lüg mich nicht an, Sam. Ich meine es ernst.«
»Ich weiß nicht, April. Der Film kommt einfach nicht richtig in Gang.«
»Dann wirst du dich gefälligst darum bemühen, daß er in Gang kommt«, fauchte sie. »Hätte ich Abzüge bekommen, wäre ich vielleicht früher in der Lage gewesen zu helfen und einzugreifen. Warum hast du mir die Abzüge nicht geschickt?«
Sam setzte seinen intensiven Blick auf, diesen Künstlerblick a la New York, den sie zu verachten begann. Die vergessen alle, daß das hier ein Geschäft ist. Filmgeschäft, sagte sie sich gereizt. Das hat mit Kunst nichts zu tun, sondern mit Geld. »Jahne wirkt auf der Leinwand nicht, April. Ich habe wirklich hart mit ihr gearbeitet, und sie müht sich, so sehr sie kann. «
»Ich habe ihre Filmtests gesehen und weiß, was sie kann. Wenn du sie nicht filmen kannst, tust du mir leid.«
»April, glaub nicht, daß ich mich nicht hundertprozentig einsetze. Jahne und ich...«
»Um das klarzustellen: Ich bin deine Produzentin, egal wie gut du vögelst. Verstanden? Ich bin dein Boss, und momentan ist es mir scheißegal, was du mit deinem Schwanz tust, solange das nicht meinen Geldbeutel berührt. Dein Platz im Bett kann blitzschnell durch einen anderen ersetzt werden. Also erzähl mir nichts von einem hundertprozentigen Einsatz. Warum bist du drei Wochen hinter dem Zeitplan? Warum überziehst du das Budget?«
»Vorwiegend des Wetters wegen. Wir haben in sieben Tagen keinen Strahl Sonne gehabt. Ich hatte auf heute nachmittag gehofft, aber danach sieht es nicht aus.«
» Also?«
Sam zuckte ratlos mit den Schultern.
April hätte ihn am liebsten erwürgt. Hatte er keine Alternative? Warum hatte sie sich von ihm überhaupt dazu überreden lassen, die Aufnahmen vor Ort statt im Studio zu drehen? »Du wolltest der liebe Gott sein, darum bist du Filmregisseur geworden. Aber wir sind hier nicht auf der Bühne, Mr. Off-Broadway. Das hier ist das Filmgeschäft. Wenn du also keine Außenaufnahmen machen kannst, wirst du sie eben innen machen. Herrgott, muß ich dir denn alles eintrichtern wie einem Idioten? Mach dir die Sonne. Du hast die verdammten Lampen dafür und nutzt sie nicht. Du hast deinen Etat überschritten und erzählst mir was von Sonnenschein?«
»Moment, darum geht es nicht allein. Michael hat mir eine Menge Schwierigkeiten gemacht. Er ist launisch. «
»Du bumst sein Mädchen. Was erwartest du da?«
»Jahne und ich...«
»Wie ich schon sagte, kümmert mich das einen Dreck. Doch das kostet mein Geld. Warum geht die Strandszene also nicht weiter? James und Judy bei dem Strandspaziergang. Das ist die vorletzte Szene des Films. Wo liegt das Problem?«
»Michael ist drei Zentimeter kleiner als Jahne, Haar und Absätze nicht eingerechnet.«
»Und?«
»Wir haben bei der Suche nach einer Lösung Zeit verloren. Schließlich haben wir eine Rampe über den Strand gebaut. Das müßte eigentlich funktionieren.«
»Hoffentlich, denn du hast nur noch den morgigen Tag dafür.« Sie wies auf die Tür. »Ich bin um sechs Uhr morgen früh hier, Regen oder Sonne, Sam. Ach, noch etwas. Du findest dich besser heute abend in meinem Hotelzimmer ein. Es ist mir egal, ob er dir hart genug wird oder nicht. Aber ich will kein Getuschel darüber hören, daß du mir ein Filmsternchen vorziehst.«
Auf dem Weg ins Hotel legte April den Kopf an
die weiche Lehne. Wieder einmal Migräne. Der Arzt hielt die Anfälle
für stressbedingt. Verdammter geiler Bock! Das ganze Leben ist doch
stressbedingt. Kaum betrat sie ihr Hotelzimmer, klingelte das
Telefon.
»April, wie ich hörte, warst du beim Set. Aber zu mir bist du nicht gekommen«, klagte Michael tief gekränkt. Da sie diejenige war, die seine Schecks ausstellte, fand April, er hätte durchaus zu ihr kommen können, nicht umgekehrt.
»Momentan habe ich viel um die Ohren, Michael, und eine heftige Migräne. Ich mußte ins Hotel zurück und mich hinlegen.«
»Migräne? Ich kenne ein altes chinesisches Heilmittel gegen Migräne. Soll ich zu dir kommen und es dir zeigen?« schmeichelte er honigsüß.
»Das ist eine Vierzigmillionen-Migräne, Michael. Für so etwas Teures haben die alten Chinesen meiner Ansicht nach kein Heilmittel gehabt. Ich sehe dich morgen früh um sechs. Wir werden diese Szene drehen — Sonne oder Wolken.«
Am nächsten Morgen traf April vor Michael, Sam und Jahne ein. April sprach mit dem Beleuchter, der auf ihren Wunsch mehr Lampen aufstellte und Reflektoren um den Strand postierte. Als nächster erschien Sam am Strand. »Wie ich sehe, übernimmst du jetzt die Rolle des Regisseurs.«
»Das überrascht dich, Sam? Es geht hier nicht um eine seltene Begabung oder so. Damit wir uns richtig verstehen: Du machst nicht, wofür du bezahlt wirst. Darum muß es ein anderer tun. Entweder befolgst du heute meine Anordnungen, oder ein anderer wird sie befolgen. Ist das ganz klar?« Er wurde blaß, nickte und ging davon.
»Ach, Sam...« Sie war noch nicht ganz fertig mit ihm.
»Warum hat Jahne die Beine voller Make-up? Versucht sie, Lepra zu überschminken?«
Jahne verließ gerade ihren Wohnwagen.
»Die Szene ist schwierig. Sie will, daß sie gut aussieht. Also habe ich ihr erlaubt, das Make-up aufzutragen wie sie es will. Ich glaube, das war kein Fehler.«
»Hoffentlich nicht, Sam. Das ist deine Entscheidung. Du wirst für deine Entscheidungen bezahlt. Ich hoffe nur, daß sie richtig ist und nicht dein Schwanz das Denken ersetzt.«
Michael näherte sich zielstrebig. Seine Hände steckten in den Taschen seines Morgenrocks. April wappnete sich. Sie gedachte an diesem Tag nichts mehr durchgehen zu lassen. Wenn es ihm nicht behagte, daß sie ihn letzte Nacht hatte abblitzen lassen, konnte sie es auch nicht ändern.
Doch Michael ignorierte April. Er fauchte Sam an: »Was zum Teufel soll das?« Er wies auf die Holzbretter, die den Strand entlang verlegt worden waren. »Etwa eine Rampe?«
»Ja, Michael. Auf diese Weise können wir den Größenunterschied zu Jahne ausgleichen.«
»Ich gehe über keine Scheißrampe. Das können Sie vergessen.«
»Die Beleuchtung stimmt, die Crew und die Besetzung sind fertig. Ich möchte diese Szene heute im Kasten haben, Michael. Wir haben zuviel Zeit verloren.« April stand neben Sam und vor Michael.
Zum erstenmal an diesem Morgen sprach er mit ihr. »Ich bin der einzige, der diesen Mistfilm auf seinen Schultern trägt, und ich gedenke nicht, mich lächerlich zu machen, indem ich über eine verdammte Rampe laufe.«
April mußte den Film fertigbekommen. Dieses Projekt geriet immer mehr außer Kontrolle. »Wie sollen denn sonst die Aufnahmen aus der Ferne gemacht werden?«
Michael hatte sich schon abgewandt. Nun drehte er sich um. »Laß die Hure in einem Graben laufen!«